Oliver Reitz
Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)
Von Gerd Lache | 14.11.2022
„Die Politik darf die Unternehmen nicht alleine lassen“, sagte Hildegard Müller. Die VDA-Präsidentin mit CDU-Parteibuch war zwischen 2005 und 2008 Staatsministerin im Bundeskanzleramt. Wie es auf der wvib-Jahreshauptversammlung in Baden-Baden hieß, zählten explodierende Energie- und Faktorkosten, überbordende Bürokratie, ein fehlendes Zuwanderungskonzept, ein leistungsfeindliches Steuersystem sowie hohe Lohn- und Lohnzusatzkosten zu den besonders lähmenden Standortnachteilen. Und dies in einer Zeit, in der die Automobilhersteller und ihre Zulieferbetriebe einen gewaltigen Transformationsprozess hin zur Klimaneutralität stemmen müssten.
Die VDA-Präsidentin beklagte angesichts der dramatischen Lage: Noch immer wisse die Wirtschaft nicht, was die Gas- und Strompreisbremsen konkret für sie bedeuten werde. „Die Wirtschaft hört immer nur Absichtserklärungen“, kritisierte Müller und fordert eine sofortige Senkung der Stromsteuer auf ein europäisches Mindestmaß. wvib-Präsident Thomas Burger unterstreicht dies: „Jede industrielle Transformation braucht preiswerte Energie und keine politisch verursachte Reibung.“
Laut Müller müssten Unternehmen jetzt ihre Standortzukunft definieren und jetzt Investitionsentscheidungen treffen, jetzt müsse geplant werden, ob für den Transformationsprozess ein neues Werk gebaut werde und wo. Doch angesichts „astronomischer Energiepreise und großer Rohstoffabhängigkeit“ stünden die Unternehmen vor der Frage, ob sie ihre Produktion drosseln, Deutschland verlassen oder den Betrieb einfach einstellen“.
Stattdessen nicht genug, dass 20 Prozent der Investitionen der VDA-Umfrage zufolge ins Ausland verlagert werden, 50 Prozent der Unternehmen haben sie völlig zurückgestellt. Und die restlichen 30 Prozent der Befragten erwarten bis zum Jahresende „erhebliche Liquiditätsengpässe“, sagte Müller.
„Was uns jetzt auf die Füße fällt“, so die VDA-Präsidentin, sei nichts Neues. Bisher hätte man „wie ein Frosch auf der Herdplatte gesessen“. Diese sei zwar immer ein Stück wärmer geworden. Aber der Frosch hätte gesagt: „Irgendwie geht’s noch“ und habe Wege gefunden, um so weiterzumachen. Damit sei versäumt worden, „viele grundlegende Fragen nicht mit dem nötigen Druck behandelt zu haben“. Und nun steige die Temperatur für den Frosch exponentiell an.
Der Politik mit ihrer „aufgeregten Diskussion“ stellt die ehemalige Staatsministerin im Bundeskanzleramt kein gutes Zeugnis aus: „In Berlin und Brüssel hat man eine Scheinrealität über den Zustand des Landes“, sagte sie. Müller sieht bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), auch mit Blick auf die wvib-Mitglieder, „eine starke Stimme“ für die Mehrheit des Landes.
„Was können wir genau tun?“, wollte Thomas Herrmann, Chef von Herrmann Ultraschalltechnik aus Karlsbad, in der anschließenden Aussprache mit der VDA-Präsidentin wissen. „Schließen Sie sich zusammen, erheben Sie Ihre Stimme, werden Sie laut gegenüber der Politik“ – der wvib sei dazu das beste Beispiel, so Müller. Gerade der Mittelstand könne durch Innovation konstruktive Lösungen aufzeigen.
Derweil forderte wvib-Präsident Burger auf der Jahreshauptveranstaltung unter dem Nachhaltigkeits-Motto „PEOPLE. PLANET. PROGRESS.“ mehr Realismus: „Alle bestellen munter, aber liefern soll aus moralischen Gründen nur das Ausland. Atomstrom kommt bei uns aus Frankreich, Kohlestrom aus Polen, Fracking-Gas aus Kanada, Halbleiter aus Südostasien.” Die VDA-Präsidentin drückte es drastischer aus: „Wir nehmen Energie von überall auf der Welt, selbst aus Katar. Da sind wir beim Fußball moralisch. Und beim Gas froh, dass es kommt.“
Burger warb für Zuversicht: „Wir haben jetzt die Chance, das Land resilienter, wettbewerbsfähiger und nachhaltiger zu gestalten. Auch die Industrie in Deutschland steht an einem Kipppunkt, den wir zum Vorteil wenden sollten.“
Unterdessen nutzte der wvib Präsident die Anwesenheit der obersten Vertreterin der Automobilindustrie, um einen lange schwelenden Konflikt zu thematisieren: „Die deutsche Automobilindustrie wird nur besser aus der Krise herauskommen, wenn alle Seiten fair miteinander umgehen. Eine intakte Lieferkette muss das oberste Ziel der gesamten Automobilindustrie sein.“
Hintergrund: Seit Jahren fordert der wvib einen fairen Umgang der Hersteller mit den Zulieferbetrieben, von denen nicht wenige als Mitglied im Wirtschaftsverband der Schwarzwald AG engagiert sind. „Es ist nicht sinnvoll, seine Geschäftspartner abzusägen“, sagte Burger zu dem Problem, dass die großen Hersteller beispielsweise aktuell nicht zulassen würden, „Preisschocks weiterzugeben“.
Für die wvib-Mitglieder war es ein langer Tag im Kurhaus Baden-Baden: Morgens eine interne Veranstaltung, am Nachmittag der öffentliche Teil mit der VDA-Präsidentin und im Anschluss der Galaabend mit Gelegenheit zum Netzwerken und zum Entspannen beim Showact der „Burning Ropes“ aus Ottersweier, einer Seilspring-Truppe mit den zehnfachen deutschen und Vize-Europameister im „Rope Skipping“.
Und wer einen Hauptgeschäftsführer wie Dr. Christoph Münzer hat, der braucht keinen Moderator zu engagieren. Münzer führte dem Anlass entsprechend mit launigen und besinnlichen Worten durchs Programm. Er übergab – wie bei den Jahreshauptversammlungen des wvib üblich – je einen Spendenscheck an soziale Institutionen des Veranstaltungsorts. In Baden-Baden waren dies die Tafel des Caritasverbandes sowie Cora, ein Verein, der aus dem Arbeitskreis „Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen“ hervorging.
Den Showabend beendete Satire pur mit Florian Schröder Der unter anderem aus dem TV bekannte Kabarettist kommentiert und parodierte Szenen von der großen Politik bis hin zu den kleinen Ereignissen des Alltags.
… ist nach eigenen Angaben eine Plattform für „People, Planet, Progress“ im familiengeprägten, industriellen Mittelstand in Baden-Württemberg. Mit mehr als 1000 Veranstaltungen pro Jahr vernetzt der Industrieverband Unternehmer und Führungskräfte, die sich für Unternehmen, Mitarbeiter, Kunden, Umwelt und Gesellschaft engagieren.
Das Angebot: Erfahrungsaustausch und Weiterbildung.
Das Ziel: Menschen in Unternehmen wirksamer machen.
Die Themen: Werte, Strategie, Führung, Familie, Eigentum, technologische Perspektiven, neue Marktzugänge, Geschäftsmodelle und Soziale Marktwirtschaft.
Im wvib – gegründet 1946 von Unternehmern für Unternehmer – erwirtschaften 1.043 produzierende Unternehmen mit 384.000 Beschäftigten weltweit 75 Milliarden Euro Umsatz.
Mehr als 60 hauptamtliche Mitarbeitende spannen ein südwestdeutsches Netzwerk für „Wissen und Wärme“ über die weltweit engagierte Community der Schwarzwald AG. pm/gel
Die Wahlen in den wvib-Gremien wurden online durchgeführt. Neu in den wvib-Beirat gewählt wurden:
Ausgeschieden sind:
Von Gerd Lache | 14.11.2022
„Die Politik darf die Unternehmen nicht alleine lassen“, sagte Hildegard Müller. Die VDA-Präsidentin mit CDU-Parteibuch war zwischen 2005 und 2008 Staatsministerin im Bundeskanzleramt. Wie es auf der wvib-Jahreshauptversammlung in Baden-Baden hieß, zählten explodierende Energie- und Faktorkosten, überbordende Bürokratie, ein fehlendes Zuwanderungskonzept, ein leistungsfeindliches Steuersystem sowie hohe Lohn- und Lohnzusatzkosten zu den besonders lähmenden Standortnachteilen. Und dies in einer Zeit, in der die Automobilhersteller und ihre Zulieferbetriebe einen gewaltigen Transformationsprozess hin zur Klimaneutralität stemmen müssten.
Die VDA-Präsidentin beklagte angesichts der dramatischen Lage: Noch immer wisse die Wirtschaft nicht, was die Gas- und Strompreisbremsen konkret für sie bedeuten werde. „Die Wirtschaft hört immer nur Absichtserklärungen“, kritisierte Müller und fordert eine sofortige Senkung der Stromsteuer auf ein europäisches Mindestmaß. wvib-Präsident Thomas Burger unterstreicht dies: „Jede industrielle Transformation braucht preiswerte Energie und keine politisch verursachte Reibung.“
Laut Müller müssten Unternehmen jetzt ihre Standortzukunft definieren und jetzt Investitionsentscheidungen treffen, jetzt müsse geplant werden, ob für den Transformationsprozess ein neues Werk gebaut werde und wo. Doch angesichts „astronomischer Energiepreise und großer Rohstoffabhängigkeit“ stünden die Unternehmen vor der Frage, ob sie ihre Produktion drosseln, Deutschland verlassen oder den Betrieb einfach einstellen“.
Stattdessen nicht genug, dass 20 Prozent der Investitionen der VDA-Umfrage zufolge ins Ausland verlagert werden, 50 Prozent der Unternehmen haben sie völlig zurückgestellt. Und die restlichen 30 Prozent der Befragten erwarten bis zum Jahresende „erhebliche Liquiditätsengpässe“, sagte Müller.
„Was uns jetzt auf die Füße fällt“, so die VDA-Präsidentin, sei nichts Neues. Bisher hätte man „wie ein Frosch auf der Herdplatte gesessen“. Diese sei zwar immer ein Stück wärmer geworden. Aber der Frosch hätte gesagt: „Irgendwie geht’s noch“ und habe Wege gefunden, um so weiterzumachen. Damit sei versäumt worden, „viele grundlegende Fragen nicht mit dem nötigen Druck behandelt zu haben“. Und nun steige die Temperatur für den Frosch exponentiell an.
Der Politik mit ihrer „aufgeregten Diskussion“ stellt die ehemalige Staatsministerin im Bundeskanzleramt kein gutes Zeugnis aus: „In Berlin und Brüssel hat man eine Scheinrealität über den Zustand des Landes“, sagte sie. Müller sieht bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), auch mit Blick auf die wvib-Mitglieder, „eine starke Stimme“ für die Mehrheit des Landes.
„Was können wir genau tun?“, wollte Thomas Herrmann, Chef von Herrmann Ultraschalltechnik aus Karlsbad, in der anschließenden Aussprache mit der VDA-Präsidentin wissen. „Schließen Sie sich zusammen, erheben Sie Ihre Stimme, werden Sie laut gegenüber der Politik“ – der wvib sei dazu das beste Beispiel, so Müller. Gerade der Mittelstand könne durch Innovation konstruktive Lösungen aufzeigen.
Derweil forderte wvib-Präsident Burger auf der Jahreshauptveranstaltung unter dem Nachhaltigkeits-Motto „PEOPLE. PLANET. PROGRESS.“ mehr Realismus: „Alle bestellen munter, aber liefern soll aus moralischen Gründen nur das Ausland. Atomstrom kommt bei uns aus Frankreich, Kohlestrom aus Polen, Fracking-Gas aus Kanada, Halbleiter aus Südostasien.” Die VDA-Präsidentin drückte es drastischer aus: „Wir nehmen Energie von überall auf der Welt, selbst aus Katar. Da sind wir beim Fußball moralisch. Und beim Gas froh, dass es kommt.“
Burger warb für Zuversicht: „Wir haben jetzt die Chance, das Land resilienter, wettbewerbsfähiger und nachhaltiger zu gestalten. Auch die Industrie in Deutschland steht an einem Kipppunkt, den wir zum Vorteil wenden sollten.“
Unterdessen nutzte der wvib Präsident die Anwesenheit der obersten Vertreterin der Automobilindustrie, um einen lange schwelenden Konflikt zu thematisieren: „Die deutsche Automobilindustrie wird nur besser aus der Krise herauskommen, wenn alle Seiten fair miteinander umgehen. Eine intakte Lieferkette muss das oberste Ziel der gesamten Automobilindustrie sein.“
Hintergrund: Seit Jahren fordert der wvib einen fairen Umgang der Hersteller mit den Zulieferbetrieben, von denen nicht wenige als Mitglied im Wirtschaftsverband der Schwarzwald AG engagiert sind. „Es ist nicht sinnvoll, seine Geschäftspartner abzusägen“, sagte Burger zu dem Problem, dass die großen Hersteller beispielsweise aktuell nicht zulassen würden, „Preisschocks weiterzugeben“.
Für die wvib-Mitglieder war es ein langer Tag im Kurhaus Baden-Baden: Morgens eine interne Veranstaltung, am Nachmittag der öffentliche Teil mit der VDA-Präsidentin und im Anschluss der Galaabend mit Gelegenheit zum Netzwerken und zum Entspannen beim Showact der „Burning Ropes“ aus Ottersweier, einer Seilspring-Truppe mit den zehnfachen deutschen und Vize-Europameister im „Rope Skipping“.
Und wer einen Hauptgeschäftsführer wie Dr. Christoph Münzer hat, der braucht keinen Moderator zu engagieren. Münzer führte dem Anlass entsprechend mit launigen und besinnlichen Worten durchs Programm. Er übergab – wie bei den Jahreshauptversammlungen des wvib üblich – je einen Spendenscheck an soziale Institutionen des Veranstaltungsorts. In Baden-Baden waren dies die Tafel des Caritasverbandes sowie Cora, ein Verein, der aus dem Arbeitskreis „Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen“ hervorging.
Den Showabend beendete Satire pur mit Florian Schröder Der unter anderem aus dem TV bekannte Kabarettist kommentiert und parodierte Szenen von der großen Politik bis hin zu den kleinen Ereignissen des Alltags.
… ist nach eigenen Angaben eine Plattform für „People, Planet, Progress“ im familiengeprägten, industriellen Mittelstand in Baden-Württemberg. Mit mehr als 1000 Veranstaltungen pro Jahr vernetzt der Industrieverband Unternehmer und Führungskräfte, die sich für Unternehmen, Mitarbeiter, Kunden, Umwelt und Gesellschaft engagieren.
Das Angebot: Erfahrungsaustausch und Weiterbildung.
Das Ziel: Menschen in Unternehmen wirksamer machen.
Die Themen: Werte, Strategie, Führung, Familie, Eigentum, technologische Perspektiven, neue Marktzugänge, Geschäftsmodelle und Soziale Marktwirtschaft.
Im wvib – gegründet 1946 von Unternehmern für Unternehmer – erwirtschaften 1.043 produzierende Unternehmen mit 384.000 Beschäftigten weltweit 75 Milliarden Euro Umsatz.
Mehr als 60 hauptamtliche Mitarbeitende spannen ein südwestdeutsches Netzwerk für „Wissen und Wärme“ über die weltweit engagierte Community der Schwarzwald AG. pm/gel
Die Wahlen in den wvib-Gremien wurden online durchgeführt. Neu in den wvib-Beirat gewählt wurden:
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