Oliver Reitz
Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)
31.07.2025
von Christian Roch
Über hundert Gitarren und Ukulelen hängen im Saiten-Showroom von Musik Schlaile Pforzheim. Filialleiter Karl-Heinz Pfeiffer setzt sich auf ein Schlaginstrument, stützt die Hände auf die Knie und wird nachdenklich: „Wir sind das älteste bestehende Musikgeschäft in Pforzheim. Hier finden Kunden eine attraktive Auswahl unterschiedlichster Instrumente und können sie auch gleich ausprobieren. Trotzdem entdecke ich sogar hier im Treppenhaus Pakete von der Online-Konkurrenz.“
Seit 1969 gibt es die Pforzheimer Filiale des traditionsreichen Karlsruher Musikalienhändlers Schlaile. Aber Tradition allein reicht längst nicht mehr. Der stationäre Musikalienhandel steckt im Umbruch. Immer mehr alteingesessene Musikgeschäfte geben auf. Zunehmend erwischt es auch große Namen der Branche. Nicht nur in Deutschland, sondern überall.
Auf den ersten Blick ist der Markt für Musikinstrumente stabil: In Deutschland gaben die Konsumenten 2024 rund 1,8 Milliarden Euro für Instrumente, Beschallungstechnik und Zubehör aus, ein leichtes Plus zum Vorjahr. Allerdings floss fast eine Milliarde davon in die Kasse von Thomann, dem weltgrößten Online-Händler für Musikinstrumente im fränkischen Treppendorf. „Die machen einen super Job“, bestätigt Pfeiffer anerkennend. Im Kontrast dazu setzen rund 40 Prozent der deutschen Musikalienhändler weniger als 100.000 Euro im Jahr um. Oft zu wenig, um davon leben zu können.
Die Gewinnspannen im Musikalienhandel sind in der Vergangenheit stark geschrumpft. Händler ohne Ladenmiete und Verkaufspersonal sind im Vorteil: „Früher hattest du Margen von zwei bis drei Prozent, das ist längst vorbei“ weiß Bernhard Zimmermann, Inhaber des gleichnamigen Akkordeon-Services in der Pforzheimer Nordstadt. „Du berätst und verdienst dann am verkauften Instrument gerade mal einen Euro. Was soll das?“
„Das Internet hat den Markt komplett umgekrempelt“, bestätigt auch Frank Steinbrecher, Geschäftsführer von Musik-City Steinbrecher. Doch anstatt zu klagen, hat er sich mit seinen fünf Angestellten rechtzeitig auf den Wandel eingestellt: „Wir haben über das Internet an die 30.000 neue Kunden gewonnen. Seit Covid kaufen wir auch verstärkt Gebrauchtinstrumente an und bieten sie auf Online-Marktplätzen an. Natürlich mit Händlergarantie. Inzwischen sind wir da unter den Top 5 in Deutschland.“
Überhaupt hat der Sohn des Firmengründers Toni Steinbrecher früh auf Technik gesetzt. Bereits in den 1990er-Jahren konnten Kunden MIDI-Files (digitale Song-Arrangements) per Telefonleitung abrufen. Heute ist Frank Steinbrecher der bekannteste Händler im deutschsprachigen Raum für Home- und Entertainer-Keyboards. Dafür investiert der Mittfünfziger viel in die Beziehungspflege: Er zeigt sich bei Keyboarder-Treffen, hält eine wöchentliche Online-Sprechstunde und schickt bei Bedarf einen seiner 280 über ganz Deutschland verteilten ‚Keyboard-Scouts‘ zu Kunden, die technische Hilfe benötigen. „Das bietet außer mir kein anderer.“
Karl-Heinz Pfeiffer betont dagegen das „klassische“ Profil von Musik Schlaile mit seinen vier Standorten in Baden-Württemberg. „Wir bieten ein Vollsortiment mit echter Beratung und gutem Service. Schlaile betreibt eigene Werkstätten für Klaviere, Streicher, Holz- und Blechblasinstrumente. Wir stimmen nicht nur, wir beraten, liefern, pflegen. Kurz: Wir begleiten die Menschen.“ Das Problem dabei: Kunden schätzen diese Qualitäten zwar, zahlen aber ungern mehr dafür. „Der Online-Handel hat eine Erwartungshaltung geschaffen, der kleinere Händler mit ihren Einkaufs- und Kostenstrukturen immer seltener gerecht werden können.“
Frank Steinbrecher kann ein Lied davon singen: „Musik-City hat rund 80.000 Kunden, das ist schon beachtlich. Aber verdient ist damit trotzdem nicht viel. Meine Schwester sagt manchmal: ‚Mach den Laden zu und vermiete die Räume.‘ Aber sie weiß, dass ich das nicht übers Herz bringe. Zumindest im Moment noch nicht.“ Bernhard Zimmermann sagt, auf die Preisgestaltung habe er ohnehin wenig Einfluss. Er profitiere von seinen Kontakten zu Musizierenden, Orchestern und Musikvereinen. Und davon, dass seine Kundschaft selten feilsche: „Ich verkaufe viel. Aber vor allem über den Ruf, nicht über Rabatte.“ Sein eigener Online-Shop sei eher Schaufenster als Verkaufskanal.
Persönlicher Kontakt und der Aha-Moment beim Ausprobieren und Vergleichen von Instrumenten, das sind nach wie vor die wichtigsten Argumente gegen die Online-Konkurrenz. Akkordeon-Spezialist Zimmermann weiß: „Ob ein Instrument zu dir passt, das weißt du nach zehn Sekunden. Das Gefühl, die Vibrationen, das ist durch nichts zu ersetzen.“
Auch Frank Steinbrecher setzt auf Erlebnis: „Manche fahren fünf Stunden mit dem Auto nach Pforzheim, um hier ihr Keyboard abzuholen. Sie wissen: Ich bin vor Ort, ich kenne mich aus und ich bin auch nach dem Kauf persönlich erreichbar.“ Was zählt, ist das Vertrauen. Und die Community. „Keyboarder sind ein eigenes Völkchen. Die gönnen sich was und bleiben dann oft über Jahrzehnte treu, weil sie immer das neueste Modell haben möchten.“
Nicht zuletzt ist es fehlender Nachwuchs, der immer mehr Musikalienhändler von der Bildfläche verschwinden lässt. „Die Kinder der Gründer haben oft lukrativere Berufswünsche. Und die Branche findet immer weniger geeignete Auszubildende“, sagt Karl-Heinz Pfeiffer. „Samstagsarbeit, Einzelhandel, das wollen viele junge Leute nicht mehr. In dem Beruf musst du Menschen ansprechen können und Initiative zeigen. Diese Qualitäten werden immer seltener.“
Frank Steinbrechers Modell: Teilzeit, flexible Arbeitszeiten und Eigenverantwortung. „Wer Freiheiten hat, ist motivierter.“ Bestes Beispiel ist seine rechte Hand Jonas Murmann. Der 25-jährige Kaufmann hat bei Musik-City Steinbrecher gelernt und steht nach Feierabend als Singer-Songwriter ‚Jonas Gavriil‘ auf der Bühne. 2024 war er in der VOX-Castingshow „Das Piano“ zu sehen.
Heute kann jeder auch ohne musikalische Vorbildung in Sekunden nahezu perfekt klingende Musik erzeugen. KI macht es möglich. Warum also ein teures Instrument kaufen und dann mühsam erlernen? „Das Musikmachen wird nicht verschwinden“, sagt Frank Steinbrecher. „Aber es wird weniger.“ Bernhard Zimmermann bestätigt mit Blick auf das Akkordeonspiel: „Klar hat das eine Zukunft. Es muss nur weitergegeben werden an die nächste Generation. Einige Musikvereine haben verstanden, dass sie ihre Nachwuchsarbeit professionalisieren müssen, andere nicht. Letztere wird es bald nicht mehr geben.“
Karl-Heinz Pfeiffer hat ebenfalls Hoffnung: „Die Menschen haben Geld. Sie geben es nur anders aus.“ Der entscheidende Punkt sei Vertrauen. Und Ideenreichtum. „Wir machen Workshops, kooperieren mit Schulen, bieten Events an. Vor kurzem hatten wir einen Ukulele-Workshop hier im Hof. Zwanzig Leute, begeisterte Gesichter, wir haben Instrumente verkauft. Das war toll.“ Und Bernhard Zimmermann? Der winkt lächelnd ab: „Ich bin sehr gut ausgelastet. Mit meiner Werkstatt, mit meiner Entwicklungsarbeit und mit meinem Laden. Mir langt’s auf jeden Fall noch bis zur Rente rum.“
Alle drei Pforzheimer Musikalienhändler sind sich einig: Musik machen und hören bleibt ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Der Klang, das Gefühl, der Moment, all das entsteht nur dort, wo Menschen sich begegnen. Vielleicht ist genau das die Chance des Handels vor Ort.
31.07.2025
von Christian Roch
Über hundert Gitarren und Ukulelen hängen im Saiten-Showroom von Musik Schlaile Pforzheim. Filialleiter Karl-Heinz Pfeiffer setzt sich auf ein Schlaginstrument, stützt die Hände auf die Knie und wird nachdenklich: „Wir sind das älteste bestehende Musikgeschäft in Pforzheim. Hier finden Kunden eine attraktive Auswahl unterschiedlichster Instrumente und können sie auch gleich ausprobieren. Trotzdem entdecke ich sogar hier im Treppenhaus Pakete von der Online-Konkurrenz.“
Seit 1969 gibt es die Pforzheimer Filiale des traditionsreichen Karlsruher Musikalienhändlers Schlaile. Aber Tradition allein reicht längst nicht mehr. Der stationäre Musikalienhandel steckt im Umbruch. Immer mehr alteingesessene Musikgeschäfte geben auf. Zunehmend erwischt es auch große Namen der Branche. Nicht nur in Deutschland, sondern überall.
Auf den ersten Blick ist der Markt für Musikinstrumente stabil: In Deutschland gaben die Konsumenten 2024 rund 1,8 Milliarden Euro für Instrumente, Beschallungstechnik und Zubehör aus, ein leichtes Plus zum Vorjahr. Allerdings floss fast eine Milliarde davon in die Kasse von Thomann, dem weltgrößten Online-Händler für Musikinstrumente im fränkischen Treppendorf. „Die machen einen super Job“, bestätigt Pfeiffer anerkennend. Im Kontrast dazu setzen rund 40 Prozent der deutschen Musikalienhändler weniger als 100.000 Euro im Jahr um. Oft zu wenig, um davon leben zu können.
Die Gewinnspannen im Musikalienhandel sind in der Vergangenheit stark geschrumpft. Händler ohne Ladenmiete und Verkaufspersonal sind im Vorteil: „Früher hattest du Margen von zwei bis drei Prozent, das ist längst vorbei“ weiß Bernhard Zimmermann, Inhaber des gleichnamigen Akkordeon-Services in der Pforzheimer Nordstadt. „Du berätst und verdienst dann am verkauften Instrument gerade mal einen Euro. Was soll das?“
„Das Internet hat den Markt komplett umgekrempelt“, bestätigt auch Frank Steinbrecher, Geschäftsführer von Musik-City Steinbrecher. Doch anstatt zu klagen, hat er sich mit seinen fünf Angestellten rechtzeitig auf den Wandel eingestellt: „Wir haben über das Internet an die 30.000 neue Kunden gewonnen. Seit Covid kaufen wir auch verstärkt Gebrauchtinstrumente an und bieten sie auf Online-Marktplätzen an. Natürlich mit Händlergarantie. Inzwischen sind wir da unter den Top 5 in Deutschland.“
Überhaupt hat der Sohn des Firmengründers Toni Steinbrecher früh auf Technik gesetzt. Bereits in den 1990er-Jahren konnten Kunden MIDI-Files (digitale Song-Arrangements) per Telefonleitung abrufen. Heute ist Frank Steinbrecher der bekannteste Händler im deutschsprachigen Raum für Home- und Entertainer-Keyboards. Dafür investiert der Mittfünfziger viel in die Beziehungspflege: Er zeigt sich bei Keyboarder-Treffen, hält eine wöchentliche Online-Sprechstunde und schickt bei Bedarf einen seiner 280 über ganz Deutschland verteilten ‚Keyboard-Scouts‘ zu Kunden, die technische Hilfe benötigen. „Das bietet außer mir kein anderer.“
Karl-Heinz Pfeiffer betont dagegen das „klassische“ Profil von Musik Schlaile mit seinen vier Standorten in Baden-Württemberg. „Wir bieten ein Vollsortiment mit echter Beratung und gutem Service. Schlaile betreibt eigene Werkstätten für Klaviere, Streicher, Holz- und Blechblasinstrumente. Wir stimmen nicht nur, wir beraten, liefern, pflegen. Kurz: Wir begleiten die Menschen.“ Das Problem dabei: Kunden schätzen diese Qualitäten zwar, zahlen aber ungern mehr dafür. „Der Online-Handel hat eine Erwartungshaltung geschaffen, der kleinere Händler mit ihren Einkaufs- und Kostenstrukturen immer seltener gerecht werden können.“
Frank Steinbrecher kann ein Lied davon singen: „Musik-City hat rund 80.000 Kunden, das ist schon beachtlich. Aber verdient ist damit trotzdem nicht viel. Meine Schwester sagt manchmal: ‚Mach den Laden zu und vermiete die Räume.‘ Aber sie weiß, dass ich das nicht übers Herz bringe. Zumindest im Moment noch nicht.“ Bernhard Zimmermann sagt, auf die Preisgestaltung habe er ohnehin wenig Einfluss. Er profitiere von seinen Kontakten zu Musizierenden, Orchestern und Musikvereinen. Und davon, dass seine Kundschaft selten feilsche: „Ich verkaufe viel. Aber vor allem über den Ruf, nicht über Rabatte.“ Sein eigener Online-Shop sei eher Schaufenster als Verkaufskanal.
Persönlicher Kontakt und der Aha-Moment beim Ausprobieren und Vergleichen von Instrumenten, das sind nach wie vor die wichtigsten Argumente gegen die Online-Konkurrenz. Akkordeon-Spezialist Zimmermann weiß: „Ob ein Instrument zu dir passt, das weißt du nach zehn Sekunden. Das Gefühl, die Vibrationen, das ist durch nichts zu ersetzen.“
Auch Frank Steinbrecher setzt auf Erlebnis: „Manche fahren fünf Stunden mit dem Auto nach Pforzheim, um hier ihr Keyboard abzuholen. Sie wissen: Ich bin vor Ort, ich kenne mich aus und ich bin auch nach dem Kauf persönlich erreichbar.“ Was zählt, ist das Vertrauen. Und die Community. „Keyboarder sind ein eigenes Völkchen. Die gönnen sich was und bleiben dann oft über Jahrzehnte treu, weil sie immer das neueste Modell haben möchten.“
Nicht zuletzt ist es fehlender Nachwuchs, der immer mehr Musikalienhändler von der Bildfläche verschwinden lässt. „Die Kinder der Gründer haben oft lukrativere Berufswünsche. Und die Branche findet immer weniger geeignete Auszubildende“, sagt Karl-Heinz Pfeiffer. „Samstagsarbeit, Einzelhandel, das wollen viele junge Leute nicht mehr. In dem Beruf musst du Menschen ansprechen können und Initiative zeigen. Diese Qualitäten werden immer seltener.“
Frank Steinbrechers Modell: Teilzeit, flexible Arbeitszeiten und Eigenverantwortung. „Wer Freiheiten hat, ist motivierter.“ Bestes Beispiel ist seine rechte Hand Jonas Murmann. Der 25-jährige Kaufmann hat bei Musik-City Steinbrecher gelernt und steht nach Feierabend als Singer-Songwriter ‚Jonas Gavriil‘ auf der Bühne. 2024 war er in der VOX-Castingshow „Das Piano“ zu sehen.
Heute kann jeder auch ohne musikalische Vorbildung in Sekunden nahezu perfekt klingende Musik erzeugen. KI macht es möglich. Warum also ein teures Instrument kaufen und dann mühsam erlernen? „Das Musikmachen wird nicht verschwinden“, sagt Frank Steinbrecher. „Aber es wird weniger.“ Bernhard Zimmermann bestätigt mit Blick auf das Akkordeonspiel: „Klar hat das eine Zukunft. Es muss nur weitergegeben werden an die nächste Generation. Einige Musikvereine haben verstanden, dass sie ihre Nachwuchsarbeit professionalisieren müssen, andere nicht. Letztere wird es bald nicht mehr geben.“
Karl-Heinz Pfeiffer hat ebenfalls Hoffnung: „Die Menschen haben Geld. Sie geben es nur anders aus.“ Der entscheidende Punkt sei Vertrauen. Und Ideenreichtum. „Wir machen Workshops, kooperieren mit Schulen, bieten Events an. Vor kurzem hatten wir einen Ukulele-Workshop hier im Hof. Zwanzig Leute, begeisterte Gesichter, wir haben Instrumente verkauft. Das war toll.“ Und Bernhard Zimmermann? Der winkt lächelnd ab: „Ich bin sehr gut ausgelastet. Mit meiner Werkstatt, mit meiner Entwicklungsarbeit und mit meinem Laden. Mir langt’s auf jeden Fall noch bis zur Rente rum.“
Alle drei Pforzheimer Musikalienhändler sind sich einig: Musik machen und hören bleibt ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Der Klang, das Gefühl, der Moment, all das entsteht nur dort, wo Menschen sich begegnen. Vielleicht ist genau das die Chance des Handels vor Ort.
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